Fake it till you make it – Rollenspiele

In seinem Vorwort zum Buch „Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag“, schreibt der Soziologe Erving Goffman:

„Auf der Bühne werden Dinge vorgetäuscht. Im Leben hingegen werden höchstwahrscheinlich Dinge dargestellt, die echt, dabei aber nur unzureichend geprobt sind.“

(Goffman 2019, S. 3)

Das ist eine Problemstellung, die in meiner Weiterbildung zur Mediatorin erkannt und angepackt wird. Dort proben wir praxisnahe Mediation durch Rollenspiele. Wie du diese auch für dein Business nutzen kannst, erfährst du in diesem Blog-Beitrag.

Wir alle kennen Rollenspiele aus unserer Schul- und/oder Studienzeit und sie sind auch im Assessment-Center gern gesehene Instrumente, Bewerber:innen u.a. auf ihre sozialen Kompetenzen zu prüfen. Doch abseits dessen scheinen uns Rollenspiele als Trainingsmöglichkeit verloren gegangen zu sein. Woran liegt’s? An geeigneten Rollenspiel-Partner:innen? Am Planungsaufwand? Fehlenden Räumlichkeiten? Zu Zeiten von Telefon-Meetings und Video-Calls mit weltweiter Vernetzung, sind das keine wirklichen Gründe, die gegen Rollenspiele sprechen. Ich denke, es ist einfach ein „Aus den Augen, aus dem Sinn“ und das Unwissen darüber, was man daraus gewinnen kann:

Durch das Einnehmen einer Rolle, finden wir noch mehr zu uns selbst.

Unsere schulischen und akademischen Laufbahnen servierten uns Rollenspiele vorgefertigt und erprobt. Wollen wir die Vorteile des Rollenspiels für uns nutzen, müssen wir den immer so schweren „ersten Schritt“ selbst machen und überlegen, was auf unserer „Bühne“ gespielt werden soll. Geeignete Mitstreiter:innen wollen gefunden werden und dazu auch noch diese chronisch ach so knappe Zeit, die wir zugegebenermaßen doch alle haben. Für ein kleines Rollenspiel braucht man sich nicht den ganzen Tag zu blocken.

Doch was sind denn überhaupt die Vorteile des Rollenspiels? Macht es nicht mehr Sinn, gleich die Praxis als Trainingsfeld zu nutzen? „Aus Fehlern lernt man doch!“ Klar tut man das. Aber wie viele von uns haben nicht schon die Erfahrung gemacht, dass manche Gelegenheiten nur einmal im Leben kommen – etwas, das uns in der beruflichen Praxis immer wieder begegnet, sei es mit der Anfrage eines stark individualisierten Projekts oder dem Gewinn potentieller Leads. Sich ausgiebig vorzubereiten ist der halbe Weg und bleibt Kund:innen nicht unbemerkt. So ist im Idealfall diese einmalige Chance, die uns im Leben begegnet, gar nicht wirklich einmalig, denn wir haben sie ja schon im Rollenspiel durchgespielt. 😉

Vorteile des Rollenspiels

  • Wir haben die Chance, einmal direkt die Rolle des Gegenübers einzunehmen und seine/ihre Gedanken, Wünsche und Bedürfnisse am eigenen Leib nachzuempfinden.
  • Wir entwickeln immer bessere Routinen für häufig wiederkehrende Verhandlungssituationen.
  • Wir können unsere eigenen Verhaltensweisen, die wir über die Jahre eingeschliffen haben, im Safe Space des Rollenspiels einmal bewusst erleben und bedenken.
  • Ein Rollenspiel von außen zu betrachten, gibt uns eine völlig neue Perspektive zur Analyse des Geschehens.
  • Wenn ins Rollenspiel implementiert, überrumpeln uns mögliche unerwartete Vorkommnisse des Lebens nicht völlig.
  • Sie trainieren zwangsläufig unsere Gesprächs- und Schlagfertigkeit, Spontanität und die Flexibilität, uns auf neue Situationen einzustellen.
  • Selbst wenn im Rollenspiel jeder auf sich alleingestellt sein sollte, werden spätestens in dessen Vor- und Nachbereitung soziale Kompetenzen wie Kompromissbereitschaft, Empathie, Feedbackgabe und Kritikfähigkeit trainiert.
  • Wir reduzieren unser Lampenfieber für den Ernstfall und viele Vorteile mehr.

Meine Hinweise und Tipps für deine Business-Rollenspiele:

  • Eine Rolle will gelernt sein. Wir sind nicht alle Impro-Theater-Profis. Nicht sofort in die Rolle zu finden oder sie 100% aufrechtzuerhalten, ist absolut menschlich und schafft uns ein Szenario, das vielleicht gerade in seiner Unberechenbarkeit realistisch ist.
  • Keine sogenannten »Kuschelgruppen«. Das heißt, wer in Rollenspielen immer nur Menschen gegenübersitzt, mit denen er freundschaftlich verbunden ist und gut klarkommt, beraubt sich wertvoller Erfahrungen, die im echten Leben nützlich sind, wenn es nicht so läuft wie erhofft und man mal richtig Kontra von anderen bekommt.
  • Nicht bei Adam und Eva anfangen, sondern vielleicht nur eine eventuell mögliche heiße Phase durchproben, z.B. das Herunterhandeln eines Angebotspreises, der ohnehin schon viel zu knapp berechnet ist.
  • Mein Lieblingstipp: Besetze ungeahnte Rollen! Wie entwickelt sich die Preisverhandlung, wenn die Mutter des/der Kund:in plötzlich ein Wörtchen mitzureden hat? 😉
  • Sorge für eine unabhängige außenstehende Person, die das Rollenspiel überwacht und im Anschluss Feedback dazu geben kann.
  • Lasse dich darauf ein.

Goffmans Buchtitel hat recht. Wir alle spielen Theater. Wir alle sind (Selbst)Darsteller im Alltag. Und doch ist es erst das Theater im Theater, das uns auf unsere eigene Hauptrolle vorbereitet.

Hast du Ideen oder Erfahrungen für Business-Rollenspiele? Gerne tausche ich mich mit dir in den Kommentaren unten aus.

Quelle:
Goffman, E. (2019): Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. 18. Auflage. München: Piper Verlag.